Herrschafts- und Regierungssysteme
Feudalismus
Feudalismus (1)
Weiterlesen...Feudalismus (wie „feudal“ zu lateinisch feudum/feodum ‚Lehen‘), auch Feudalsystem oder Feudalität genannt, bezeichnet in den Sozial-, Rechts- und Geschichtswissenschaften vor allem die Gesellschafts- und Wirtschaftsform des europäischen Mittelalters.
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Weiterlesen...Merkmale
Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden:
Ein Landesherr überlässt seinen militärischen Gefolgsleuten zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes, einschließlich der darauf befindlichen Bewohner.
Das feodum ist ein zum Lehen (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe) übertragenes beneficium, also eine Wohltat im Sinne eines Liegenschaftsvermögens, welches nach seiner Bodenbeschaffenheit sowie personellen Ausstattung (samt der damit einhergehenden baulichen und gerätschaftlichen Ausstattung) dazu geeignet und bestimmt ist, Erträge zum Unterhalt des Lehnsinhabers zu erwirtschaften.
Im Anschluss an die Lehensgüter entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die verrechtlicht werden und die den Personenkreis, der zur Landbewirtschaftung bestimmt ist (Bauern), von der gesellschaftlichen Organisationsgestaltung im Sinne einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen, während sie gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken oder diese schwächen.1 / 1 / 9Feudalismus (3)
Weiterlesen...Streng genommen beinhaltet der Begriff Feudalismus daher zwei voneinander getrennte Dimensionen:
das Verhältnis des obersten Landesherrn zur Kriegerklasse und deren Gefolgschaftstreue sowie
die Herrschaftsverhältnisse der mit Lehen ausgestatteten Klasse nach unten zu der nicht belehnten Bevölkerung.2 / 2 / 9Feudalismus (4)
Weiterlesen...Die Produktion des Feudalismus war stark von der Naturalwirtschaft geprägt. Die Mehrheit der Bevölkerung bestand aus Bauernfamilien. Sie waren aber nicht Eigentümer des von ihnen bestellten Landes. Dieses Land war Eigentum der wenigen Grundherrn. Die Bauern befanden sich im Zustand der Hörigkeit, sie waren also persönlich abhängig vom Grundherrn und unfrei.
Das bedeutet:
Sie waren an die Scholle (das zu bestellende Land) gebunden (glebae adscripti) und hatten nicht das Recht, sie zu verlassen, weil sie als Bestandteil der Wirtschaftsgüter des Lehnsgutes galten.
Sie waren der Rechtsprechung ihres Herrn unterworfen.
Sie schuldeten dem Grundherren Abgaben, sowohl in Form von Arbeitsleistungen (Fron) auf dem direkt vom Grundherren bestellten Land (Salland), als auch in Form von Naturalabgaben, die aus demjenigen Stück Land aufgebracht werden mussten, das sie selbst bewirtschafteten (Zehnt). Die Frondienste oder die Naturalabgaben konnten im Verlauf der Entwicklung auch durch Geldabgaben abgelöst werden.3 / 3 / 9Feudalismus (5)
Weiterlesen...Entstehung und Geschichte
Die feudale Gesellschaft entstand im Frühmittelalter durch eine Verschmelzung der sich auflösenden antiken Gesellschaft und der keltischen und germanischen Gesellschaften. Dabei dürfte das römische Kolonat mit seinen halbfreien Bauern, das vor allem außerhalb Italiens verbreitet war, eine wesentliche Quelle für das Feudalsystem gewesen sein. Möglicherweise war auch die antike Sklaverei bereits zu diesem Zeitpunkt und später wiederholt durch die Rezeption römischer Überlieferungen ein Vorbild. Auch die heute nicht mehr klar fassbare keltische Vasallität mag sich fortgesetzt haben. Die persönliche Gefolgschaft dürfte dabei das wesentliche von den Germanen übernommene Element gewesen sein, auch wenn es mit dem Patronat auch ein ähnliches römisches System gab.4 / 4 / 9Feudalismus (6)
Weiterlesen...Refeudalisierung
Nach Günter Vogler gerieten Deutschland und Europa Ende des 15. Jahrhunderts in die Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, wodurch die konstituierenden Merkmale für den Typus frühbürgerliche Revolutionen erreicht wurden.
Europa trat damit in die Epoche bürgerlicher Revolutionen ein, in denen sich das Bürgertum schrittweise die politische Macht erkämpfte. Während sich in den Niederlanden und England die bürgerliche Klasse allmählich etablieren konnte, behielt der Adelsstand im zentralen und östlichen Europa bis ins fortgeschrittene 19. Jahrhundert seine Machtpositionen, und das Bürgertum wurde zurückgedrängt.
Refeudalisierung im engeren Sinne bedeutet die Wiederherstellung einer feudalen Ordnung, also die Rückkehr zu originären Formen feudaler Organisation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert in Süd- und Südosteuropa vorkam.5 / 5 / 9Feudalismus (7)
Weiterlesen...Neo-Feudalismus
Neo-Feudalismus bedeutet die teilweise oder umfassende spontane Entstehung oder planmäßige Einführung feudalismus-analoger Organisationsformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft während der Hochphase der kapitalistischen Entwicklung. Zu Vertretern dieser These im Hinblick auf die USA gehören Emmanuel Todd, Joel Kotkin und Vladimir Shlapentokh, der diese Tendenz auch für Russland nach 1991 sowie auch für die USA konstatiert. Die Sicherung von Monopolrenten für Unternehmen in Form von Privilegien, Lizenzen, Konzessionen, Subventionen oder der Bereitstellung öffentlicher Güter im Austausch gegen die Förderung von Politikern z. B. durch die Finanzierung von Parteien und Wahlkämpfen sei ein feudales Merkmal moderner politischer Systeme; Unternehmen fördern Politiker, die ihnen Monopol- oder Zusatzrenten versprechen, denen keine adäquaten Leistungen gegenüberstehen.6 / 6 / 9Feudalismus (8)
Weiterlesen...Funktionsverlust der Öffentlichkeit und des Staates
Angesichts aktueller Entwicklungen im 20. und 21. Jahrhundert sprechen Sozialwissenschaftler wie Jürgen Habermas heute von einer „Refeudalisierung“ der Gesellschaft, indem „mit der Verschränkung und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen“.
Charakteristika seien unter anderem die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung, die bloße Inszenierung von Öffentlichkeit, das Darstellen von Partikularinteressen von Personen oder Verbänden als Allgemeininteressen, der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Entscheidungen von öffentlichem Interesse, soziale Herkunft als entscheidender Faktor für Wohlstand.7 / 7 / 9Feudalismus (9)
Weiterlesen...Selbstrekrutierung der Managerklasse, Entkopplung von Privilegien und Leistung
Im Finanzmarktkapitalismus werden nach Auffassung des Hamburger Soziologen Sighard Neckel Einkommen und Macht nach vormodernen Mustern verteilt. „Während auf der einen Seite die Zahl derjenigen beständig wächst, die unter Bedingungen arbeiten, die eher an Leibeigenschaft und Sklaverei erinnern als an bürgerlich-kapitalistische Vertragsverhältnisse, werden in der Beletage die Privilegien nach ebenso vormodernen Methoden verteilt: Reichtum wird vor allem vererbt, eine ständisch organisierte Managerklasse schanzt sich exorbitante Gehälter zu.“ In die gleiche Richtung argumentiert der Historiker Olaf Kaltmeier für Lateinamerika, der hier im frühen 21. Jahrhundert eine Tendenz zur Refeudalisierung ausmacht. Eine solche vom großen Kapital getriebene Tendenz sieht auch Vladimir Shlapentokh für die USA und das postkommunistische Russland.8 / 8 / 9