Herrschafts- und Regierungssysteme
Diktatur
Diktatur (1)
Weiterlesen...Die Diktatur (von lateinisch dictatura) ist eine Herrschaftsform, die sich durch eine einzelne regierende Person, den Diktator, oder eine regierende Gruppe von Personen (z. B. Partei, Militärjunta, Familie) mit weitreichender bis unbeschränkter politischer Macht auszeichnet.
In ihrer klassischen Bedeutung wird die Diktatur als legitimes Verfassungsinstitut zum Schutz der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung verstanden. Heute wird der Begriff verbreitet pejorativ zur Beschreibung einer Gewaltherrschaft verwendet.0 / 0 / 24Diktatur (2)
Weiterlesen...Er umfasst dementsprechend viele unterschiedliche Phänomene von den zeitlich befristeten Notstandsregierungen der Römischen und der Weimarer Republik über Cäsarismus und Bonapartismus sowie Karl Marx’ Idee einer Diktatur des Proletariats bis zu den Entwicklungsdiktaturen aus der Zeit der Dekolonisation sowie den „totalitären“ Regimen des Faschismus, des Nationalsozialismus und des Stalinismus. Die Abgrenzung zu anderen Formen monopolisierter Herrschaft wie dem autoritären Regime und dem Einparteisystem ist schwierig und erfolgt in der politikwissenschaftlichen Literatur uneinheitlich.In den Politikwissenschaften ist heute statt des schlecht definierten Wortes Diktatur eher der Begriff Autokratie verbreitet. Die Begriffe werden in der Fachliteratur teilweise synonym verwendet.
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Weiterlesen...Klassische Bedeutung
Der Begriff der Diktatur geht zurück auf den dictator, ein Verfassungselement der römischen Republik für den Ausnahmezustand: In Notzeiten wurde ihm vom Senat auf Vorschlag der Konsuln für maximal sechs Monate die unbeschränkte Gesamtleitung des Staates übertragen. Anders als die anderen Magistrate amtierte er ohne Kollegen, gegen seine Amtshandlungen bestand kein Recht auf Provokation oder Interzession durch die Volkstribunen. Da dieses Amt im Mittelalter und der Frühen Neuzeit keine Entsprechung hatte, kam es im staatsrechtlichen Diskurs nicht oder nur gelegentlich vor. Im Heiligen Römischen Reich wurde der Begriff seit 1663 für die amtliche Weitergabe der Anträge und Eingaben an den Reichstag verwendet. Hierfür war der „Reichsdiktator“ zuständig, ein Amt, das der Kanzleisekretär des Erzbischofs von Mainz wahrnahm.2 / 2 / 24Diktatur (4)
Weiterlesen...Der italienische Philosoph Niccolò Machiavelli (1469–1527) führte den Diktatur-Begriff in den politischen Diskurs der Neuzeit ein. In seinen Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio beschrieb er die Diktatur als wichtiges Mittel zur Verteidigung der Freiheit, das der Republik Vorteil, nicht Schaden gebracht habe. Lucius Cornelius Sulla und Gaius Iulius Caesar, die dieses Amt ohne zeitliche Beschränkung innehatten, seien Diktatoren nur dem Namen nach, in Wahrheit aber Tyrannen gewesen. Ein verfassungserhaltendes Notstandsregime zählte Machiavelli dagegen zu den Kennzeichen vollkommener Republiken:
„Meine Meinung ist, daß Republiken, die in äußerster Gefahr nicht zur diktatorischen oder einer ähnlichen Gewalt Zuflucht nehmen, bei schweren Erschütterungen zugrundegehen werden.“3 / 3 / 24Diktatur (5)
Weiterlesen...Auch in den großen Nachschlagewerken des 18. und 19. Jahrhunderts wird der Begriff so verstanden, von Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon 1734 über die von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert herausgegebene Encyclopédie 1779 bis zu Meyers Konversations-Lexikon 1875. Als politischer Begriff zur Kritik ungerechter Herrschaftsverhältnisse diente Diktatur zunächst nicht. In der Polemik der Aufklärungspublizisten gegen den Absolutismus wurden stattdessen Tyrannei und Despotie verwendet.Heute wird der frühneuzeitliche Absolutismus nicht unter die Diktaturen gerechnet, da der Fürst in mehrerlei Hinsicht gebunden war.
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Weiterlesen...Diktatur des Proletariats
Bedeutsamer für die Geschichte des Begriffs Diktatur als Marx’ Analyse des Bonapartismus waren Überlegungen, die er im Zusammenhang mit seiner Arbeit am Achtzehnten Brumaire anstellte. Erstmals in einem Brief an Joseph Weydemeyer skizzierte er am 5. März 1852 den Gedanken, „daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; […] daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet“. Diesen Gedanken arbeiteten Marx und nach dessen Tod Friedrich Engels (1820–1895) in mehreren Schriften weiter aus. Originell daran war zum einen, dass als Souverän der diktatorischen Herrschaft erstmals nicht eine einzelne Person, sondern ein Kollektiv verstanden wurde, das nach Marx’ Prognose sogar die Mehrheit der Bevölkerung bilden würde.5 / 5 / 24Diktatur (7)
Weiterlesen...Außerdem wurde der (wie im klassischen Begriffsverständnis nur als transitorisch verstandenen) Diktatur die Funktion zugeschrieben, nicht eine alte Ordnung zu bewahren oder wiederherzustellen, sondern eine neue zu schaffen, die Utopie der klassenlosen Gesellschaft, in der man die Zwangsanstalt Staat würde überwinden können. Der Gegenbegriff zur Diktatur des Proletariats war nicht Monarchie oder Bürgertum, sondern wiederum Diktatur, insofern Marx jede Form bürgerlicher Herrschaft als Diktatur denunzierte. Somit konnte er behaupten, dass die Diktatur des Proletariats viel demokratischer sei als jede parlamentarische Demokratie. Zur Verdeutlichung führten Engels und er nach 1871 auch das Beispiel der Pariser Kommune an.Herfried Münkler dagegen glaubt, dass Marx Formulierungen wie „Diktatur des Weltmarkts“ oder „Diktatur des Kapitals“ nicht wörtlich meinte, sondern darauf aufmerksam machen wollte, dass hinter dem Ideologem der vermeintlich blinden Sachzwänge stets das Handeln von Menschen steht.
6 / 6 / 24Diktatur (8)
Weiterlesen...Nachdem die Bolschewiki am 6. Januar 1918 die demokratisch gewählte Russische konstituierende Versammlung, in der sie nicht die Mehrheit hatten erringen können, gewaltsam aufgelöst hatten, wurde Lenins Konzept von deutschen Marxisten kritisiert. Die Vordenkerin des kommunistischen Spartakusbundes Rosa Luxemburg (1871–1919) erklärte Freiheit – „immer die Freiheit des Andersdenkenden“ – für jeden gesellschaftlichen Fortschritt für unerlässlich.
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Weiterlesen...Die republikfeindliche Rechte der Weimarer Republik griff trotz ihres entschiedenen Antikommunismus diesen Ansatz nicht auf. Obwohl auch sie letztlich eine „nationale Diktatur“ anstrebte, vermied sie zumeist den Begriff zur Zielbeschreibung. Diktatur wurde zumeist pejorativ verwendet und mit Liberalismus und Kapitalismus assoziiert, die man ja überwinden wollte. So schrieb etwa Ernst Jünger (1895–1998) 1932 in Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt von der „Diktatur des wirtschaftlichen Denkens an sich […] Denn innerhalb dieser Welt ist keine Bewegung vollziehbar, die nicht den trüben Schlamm der Interessen von neuem aufwühlen würde, und es gibt hier keine Position, von der aus der Durchbruch gelingen kann“.
8 / 8 / 24Diktatur (10)
Weiterlesen...Bereits 1918 hatte der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler (1880–1936) in seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes eine Zeit des „Caesarismus“ prognostiziert, der „die Diktatur des Geldes und ihrer politischen Waffe, der Demokratie“, brechen werde. Auch die Nationalsozialisten wendeten den Diktaturbegriff fast ausschließlich auf ihre Gegner an. Adolf Hitler (1889–1945) etwa schrieb 1924 in Mein Kampf mit Blick auf die Diktatur des Proletariats, die er im Sinne der Verschwörungstheorie vom jüdischen Bolschewismus für eine jüdische List hielt, „der Jude“ hätte vor, „die Völker diktatorisch mit brutaler Faust zu unterjochen.“
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