Manipulation, Propaganda & Bewusstseinbeeinflussung
Nazi-Vergleiche
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Nazi-Vergleich (1)
Weiterlesen...Nazi-Vergleiche sind Vergleiche von Ereignissen, Personen oder Institutionen mit denen der Zeit des Nationalsozialismus. Darunter fallen auch NS-Vergleiche, Hitlervergleiche, Reductio ad Hitlerum, Goebbels-Vergleiche oder Vergleiche mit anderen führenden Personen des NS-Staats.
Begriffsverwendung
Der Begriff Nazi-Vergleich wurde nach den Sprachwissenschaftlern Thorsten Eitz und Georg Stötzel als Neologismus in den 1980er-Jahren durch die Massenmedien eingeführt und taucht seitdem insbesondere in Pressekommentaren immer wieder auf. Beschrieben wird mit dem Begriff eine diskursive Praxis, die die Konversationsmaximen verletze und die kognitive Rolle des Vergleichs bewusst missbrauche. Er wird in diesem Zusammenhang oft als sogenannter Fehlschluss bzw. Totschlagargument verwendet und in politischen Debatten auch zur Diffamierung des politischen Gegners missbraucht. Der Historiker Jürgen Kocka etwa bezeichnet die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime (beide „gleich verbrecherisch, beide zum ‚Reich des Bösen‘“) als „missbräuchliches Totschlagargument“. Sie ist zu unterscheiden von diesbezüglichen wissenschaftlichen Vergleichen.0 / 0 / 17Nazi-Vergleich (2)
Weiterlesen...Wie aber das Beispiel des Freisler-Vergleichs zeigt, sind Nazi-Vergleiche nicht immer wegen Beleidigung (§ 185 StGB) strafbar. Gegenüber dem Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten zu kritisieren, müsse eine Beeinträchtigung der Ehre der Richter (sofern keine Schmähkritik vorliegt) gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit grundsätzlich dann zurücktreten, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen Meinungsäußerung ist und der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient.
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Weiterlesen...Nach dem Politologen Norbert Seitz gehört „die Nazi-Analogie […] seit Gründung der Bundesrepublik zum probaten Totschlagarsenal in der politischen Auseinandersetzung“. Er unterschied drei Verwendungsphasen: Im Kalten Krieg durch Gleichsetzungen des „real-existierenden Sozialismus“ mit dem NS-Staat als antikommunistisches Propagandamittel der politischen Rechten, in den 1960er-Jahren die Kritik der Linken von der APO aufgrund moralischer Empörung gegenüber dem Umgang in der Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit. Schließlich verwendete man den NS-Vergleich nach dem sogenannten Historikerstreit 1986 infolge einer „wachsenden Skandalisierung von Politik“ und der „Enthistorisierung des Holocaust“. Seitz zufolge ist aber der Vergleich kein rein deutsches Phänomen, da weltweit viele verbrecherische Diktatoren und politische Führer mit Hitler verglichen werden, wie etwa seit den 1990er Jahren: Saddam Hussein, Slobodan Milošević, Jassir Arafat, Osama bin Laden.
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Weiterlesen...Gleichzeitig tauche die Schoah als Metapher im Kuwait-Feldzug Desert Storm 1991 auf, während des Kosovo-Krieges 1998 wie nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 im israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt oder im Kampf gegen die Taliban als „Äquivalent zu Hitlers SS“. Der Holocaust würde international längst als Metapher für das „absolut Böse“ verwandt. Die Vergangenheit werde nach dem Sozialpsychologen Harald Welzer enthistorisiert und lasse sich als „legitimatorisches Label im Kampf gegen böse Staaten und Diktatoren einsetzen“.
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Weiterlesen...NS-Vergleiche, insbesondere zum Holocaust wie etwa „Babycaust“ (Abtreibungen), werden daher auch als Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus kritisiert. Insbesondere wurden solche Vergleiche in der katholischen Kirche sowie der Umwelt- und Friedensbewegung häufig genutzt, nachdem der Begriff Holocaust 1979 in Deutschland durch die gleichnamige Fernsehserie als neues „Horrorwort“ entdeckt wurde und etwa als Warnung vor einer Nukleargefahr diente. Nach Stötzel und Eitz wurde so aus einer nicht stattgefundenen Vergangenheitsbewältigung eine „Bewältigung der Gegenwart“. Ereignisse, die im allgemeinen Verständnis historisch einzigartig sind, würden durch Vergleiche relativiert sowie „zum Zweck der Instrumentalisierung in heutigen Auseinandersetzungen“ gebraucht. Begriffe Rechtsextremer wie „Bomben-Holocaust“ dienten dagegen der „Aufrechnung“.
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Weiterlesen...Die französische Sprachwissenschaftlerin Marie-Hélène Pérennec stellte eine Häufung von Nazi-Vergleichen seit Ende der 1990er Jahre fest und meinte, „dass der politische Diskurs sich seit einem Jahrzehnt so radikalisiert hat, dass derartige Entgleisungen beinahe allen Rednern passieren können und dass es schwierig wird, zwischen Provokation und Ungeschicklichkeit zu unterscheiden“. Zur Erklärung der Zunahme verweist sie auf Harald Welzers Aufmerksamkeitsvermutung: „Aufmerksamkeit kriegen Sie immer, wenn Sie die Nazi-Karte spielen.“ Doch Pérennec vermutet: „Inzwischen haben sich die Menschen an diese Beschimpfungen gewöhnt und beachten sie kaum noch.“ Die wichtigste Folge dieses Prozesses sei jedoch „die Verharmlosung der Verbrechen der Nazis“, die durch die Gewöhnung an NS-Vergleiche verursacht werde.
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Weiterlesen...Der Soziologe und Antisemitismusbeauftragte von Berlin Samuel Salzborn sagte, bei NS-Vergleichen, wie sie beispielsweise von Corona-Leugnern gezogen würden, handele es sich „um eine geschichtsrevisionistische Relativierung der Shoah, bei der die antisemitische Vernichtungspolitik auf infame Weise instrumentalisiert“ werde. Die Verschwörungsgläubigen phantasierten „sich in eine Opferrolle, die die demokratische Politik dämonisieren und delegitimieren“ solle. Man überhöhe die eigene Rolle, stelle sich als mutigen Widerstandskämpfer dar und diffamiere politische Gegner als Nazis und Faschisten, gleichzeitig würden die tatsächlichen Schrecken und Verbrechen der Nazi-Diktatur relativiert. Salzborn sprach dementsprechend von einer „Doppelinstrumentalisierung im Geist der antisemitischen Täter-Opfer-Umkehr“.
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Weiterlesen...Mit Bezug auf den Zweiten Historikerstreit, in dem es um das Gedenken an Kolonialverbrechen und an den Holocaust sowie um dessen vielfach reklamierte Singularität geht, stellt der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank Meron Mendel fest, das ein Vergleich keineswegs die Identität der beiden verglichenen Ereignisse impliziert, sondern vielmehr kriteriengeleitet Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschieden feststellt. Insofern ließen sich „Äpfel und Birnen – entgegen dem Sprichwort – ganz wunderbar miteinander […] vergleichen“. Auch wenn der Holocaust ein präzendenzloses Ereignis sei, dürfe er durchaus mit anderen historischen Verbrechen verglichen werden, zumal die Erkenntnis seiner Einzigartigkeit einen Vergleich denknotwendig voraussetze.
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Weiterlesen...Beispiele
In einem offenen Brief, den Hannah Arendt, Albert Einstein und andere jüdische Intellektuelle am 4. Dezember 1948 in der New York Times veröffentlichten, protestierten sie gegen den Besuch des israelischen Politikers Menachem Begin in den USA, weil dessen Partei Cherut in ihren „Methoden, in ihrer politischen Philosophie und sozialen Anziehungskraft den Nazis und den faschistischen Parteien sehr ähnlich“ sei.
Die deutsche Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin wurde 2002 nicht wieder berufen, nachdem man ihr vorgeworfen hatte, die Politik von George W. Bush in die Nähe derjenigen Adolf Hitlers gerückt zu haben.8 / 8 / 17Nazi-Vergleich (10)
Weiterlesen...Am 3. Mai 2005 veröffentlichte Michael Wolffsohn in der Rheinischen Post einen Essay zur sogenannten Heuschreckendebatte mit dem Namen „Zum 8. Mai“, dem 60. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht:
„60 Jahre ‚danach‘ werden heute wieder Menschen mit Tieren gleichgesetzt, die – das schwingt unausgesprochen mit – als ‚Plage‘ vernichtet, ‚ausgerottet‘ werden müssen. Heute nennt man diese ‚Plage‘ ‚Heuschrecken‘, damals ‚Ratten‘ oder ‚Judenschweine‘. Worte aus dem Wörterbuch des Unmenschen, weil Menschen das Menschsein abgesprochen wird.“9 / 9 / 17
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