Herrschafts- und Regierungssysteme
Tyrannei
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Frühe Neuzeit (9)
Weiterlesen...In der Welt der Renaissance-Humanisten war das Tyrannenbild der antiken Quellen bestimmend. Zu den Grundlagentexten zählten Platons Analyse in der Politeia, die Typologie der Regierungsformen in der Politik des Aristoteles und die Tyranniskritik von Ciceros Pflichtenlehre in De officiis; das staatstheoretische Hauptwerk Ciceros, De re publica, war verschollen. Daneben machte sich ein anderer Traditionsstrang geltend, der auf einem biblisch und theologisch fundierten Verständnis des Verhältnisses von Obrigkeit und Untertanen beruhte.
10 / 10 / 20Tyrannis (10)
Weiterlesen...Im 16. Jahrhundert blieb die aristotelische Tradition lebendig, „ungerechte“ Herrscher nicht als Fürsten zu betrachten, sondern – ungeachtet ihrer staatsrechtlichen Legitimität – als Tyrannen. Durch diese Bezeichnung stellte man sie den „gerechten“ Fürsten als deren Gegenteil entgegen. Manche Autoren, insbesondere die „Monarchomachen“ („Monarchenbekämpfer“), hielten an der aristotelischen Vorstellung fest, zwischen „König“ und „Tyrann“ bestehe ein direkter Gegensatz. Gegen diese Auffassung und Terminologie wandten sich jedoch die namhaften Staatstheoretiker Niccolò Machiavelli (1469–1527), Jean Bodin († 1596) und Thomas Hobbes (1588–1679).
11 / 11 / 20Tyrannis (11)
Weiterlesen...Die Heroisierung der antiken Tyrannenmörder war in der Frühen Neuzeit weiterhin verbreitet. Sie lieferte den Befürwortern des gewaltsamen Widerstands Muster, auf die sie sich berufen konnten. Hinzu kam das hohe Ansehen der tyrannenfeindlichen antiken Autoren. Der schottische protestantische Humanist George Buchanan vertrat 1579 in seinem Dialog De jure regni apud Scotos die Ansicht, einen ungerechten Herrscher dürfe jeder töten.
Dies sei eine verdienstvolle Tat, die mit Recht öffentliche Anerkennung und Belohnung erhalte. Die Autoritäten, auf die sich Buchanan berief, waren Cicero, Xenophon, Platon, Aristoteles und Seneca.Der kämpferische Katholik Gulielmus Rossaeus teilte aus seiner Sicht diese Meinung; er befand 1590, ein zum Protestantismus übergetretener Herrscher sei ein Tyrann und dürfe als solcher auch von Privatpersonen getötet werden.12 / 12 / 20Tyrannis (12)
Weiterlesen...Dies lasse sich aus dem Naturrecht ableiten, wie schon Cicero erkannt habe. Das sei auch der Standpunkt der klügsten Griechen gewesen.
Der Jesuit Juan de Mariana erörterte 1599 in seiner Abhandlung De rege et regis institutione die Frage, ob das Vorgehen mit Waffengewalt gegen einen legitim ins Amt gelangten Tyrannen zulässig sei, und bejahte sie nach eingehender Untersuchung unter bestimmten Voraussetzungen. Mariana erstellte eine Liste getöteter antiker Tyrannen, darunter Caesar, und wies darauf hin, dass deren Mörder immer noch in Ruhm und Ansehen stünden.13 / 13 / 20Tyrannis (13)
Weiterlesen...Vier Jahrzehnte später veröffentlichte Hermann Gottlob Plaß 1852 seine umfangreiche, für die Folgezeit wegweisende Untersuchung Die Tyrannis in ihren beiden Perioden bei den alten Griechen. Er führte die heute geläufige Unterscheidung zwischen älterer und jüngerer Tyrannis ein. Nach seiner Darstellung war der typische Tyrann ein adliger Demagoge, der sich als „Volksfreund“ gegen die eigenen Standesgenossen auf unterdrückte Bevölkerungsschichten stützte, um nach der Macht zu greifen. Die Tyrannis sei traditionsfeindlich gewesen; ihre politische Bedeutung liege darin, dass sie sich gegen die Adelsherrschaft gerichtet und damit der Demokratie zum Durchbruch verholfen habe.
14 / 14 / 20Tyrannis (14)
Weiterlesen...m Jahr 1898 wurde der erste Band von Jacob Burckhardts Griechischer Kulturgeschichte postum veröffentlicht. Nach Burckhardts Urteil war die Tyrannis „eine der ganz unvermeidlichen Formen der griechischen Staatsidee“, und „in jedem begabten und ehrgeizigen Griechen wohnte ein Tyrann“.
In den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts machte sich eine günstige, teils dezidiert positive Einschätzung der älteren Tyrannis geltend. Nicht nur in der Altertumswissenschaft des Dritten Reichs, sondern auch in einer Reihe von Publikationen englischsprachiger Forscher wurde das Bild des staatsmännischen Tyrannen gezeichnet.15 / 15 / 20Tyrannis (15)
Weiterlesen...Einen wichtigen Impuls setzte Helmut Berve, der seine Sichtweise zuerst 1954 in seinem Aufsatz Wesenszüge der griechischen Tyrannis und dann 1967 in seiner Monographie Die Tyrannis bei den Griechen darlegte. Er hielt die Tyrannen keineswegs für weitsichtige Staatsmänner. Nach Berves Darstellung waren sie selbstsüchtige, machtgierige Politiker, die rücksichtslos vorgingen und das Gemeinwesen vergewaltigten. Der Tyrann war der Gegenspieler der Polis, des autonomen Staates.
16 / 16 / 20Tyrannis (16)
Weiterlesen...Er löste die Bindung an Tradition und Gesetz, herrschte „gegen den Willen der Bürger eigenmächtig und zu eigenem Nutzen“ und stand in fundamentalem Gegensatz „schon zu den Ordnungen und Bräuchen der Adelsgesellschaft, vollends aber zum Rechtsstaat der ausgebildeten Polis“. Das Kriterium, das einen Tyrannen von einem Oberbeamten oder König unterscheidet, ist für Berve nicht das Ausmaß der Machtfülle oder die Härte der Repression, sondern die gesetzwidrige Überschreitung der Befugnisse, welche die Polis ihrem Lenker zugebilligt hat.
17 / 17 / 20Tyrannis (17)
Weiterlesen...Berve sah einen wesentlichen Unterschied zwischen antiker Tyrannis und moderner Diktatur „trotz frappierenden Ähnlichkeiten“ darin, dass der Tyrann „nicht Träger sozialer, politischer, nationaler oder quasireligiöser Ideen, sondern gewissermaßen nur Individuum ist“. Keiner der bekannten Tyrannen habe überpersönliche Ziele verfolgt.
Neben der „individualistischen“ Interpretation blieben die alternativen Deutungsansätze weiterhin aktuell: Während Claude Mossé (1969), Gerd Zörner (1971) und Claudia de Oliveira Gomes an der „Volksführer-Theorie“ festhielten, griffen Mary White (1955), Antony Andrewes (1956) und John Salmon (1977)die „Hopliten-Theorie“ auf. Sie meinten, die archaischen Usurpatoren hätten sich auf die unzufriedenen „middle-class hoplite soldiers“ gestützt, eine neue, erstarkende Mittelschicht, die infolge der wirtschaftlichen Entwicklung entstanden sei.18 / 18 / 20Tyrannis (18)
Weiterlesen...Historiker, die vom marxistischen Geschichtsbild ausgingen, wiesen den ökonomischen Verhältnissen eine maßgebliche Bedeutung zu. Analysen dieser Art legten Pavel Oliva (1956, 1960) und Hans-Joachim Diesner (1960)vor. Gemeinsam ist ihren Überlegungen die Betonung der Rolle der Klassenkämpfe und der Sklaverei. Oliva meinte, die ältere Tyrannis sei antiaristokratisch und daher eine progressive Erscheinung gewesen. Die Entwicklung einer von Sklavenarbeit geprägten Produktion habe zunächst zur Bereicherung des Adels geführt.
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