Herrschafts- und Regierungssysteme
Technokratie & Expertokratie
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Technokratie (1)
Weiterlesen...Unter Technokratie wird heute eine Form der Regierung oder Verwaltung verstanden, in der alle Entscheidungen auf vermeintlich sozial neutralem wissenschaftlichem und technischem Wissen aufbauen. Technokraten gehen von der Annahme aus, es gäbe ideologie- und interessenfreie Wege, für das Gemeinwohl und für staatliche Stabilität zu sorgen. Technokratische Kabinette sind meistens Vertreter nicht parlamentarisch gestützter Regierungen. Oppositionsbewegungen der Zivilgesellschaft sowie NGOs kritisieren Technokratien gerade wegen ihrer häufigen Klientelpolitik.
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Weiterlesen...Der Begriff leitet sich ab von dem altgriechisch τέχνη téchne, deutsch ‚Fertigkeit‘ und κράτος kratos ‚Herrschaft‘. Eine korrekte Übersetzung wäre demnach „Herrschaft der Sachverständigen“. Der Begriff ist jedoch eine Neuschöpfung aus dem 20. Jahrhundert und eng mit der Technokratischen Bewegung in den USA der 1920er Jahre wie der damals verbreiteten Krise der Demokratie und der von der Sowjetunion und deren Planwirtschaft ausgehenden, anfänglichen Faszination verbunden. Umgangssprachlich wird als Technokrat auch abwertend eine Person bezeichnet, die eine rational-technische Weltsicht hat und einen Interessenausgleich sowie etwa soziologische oder psychologische Aspekte als „weiche Faktoren“ eines Themas vernachlässigt.
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Weiterlesen...Merkmale
Merkmale der Technokratie sind:
Fortschritt und Wissenswachstum sind Zielvorstellung, unter anderem deshalb wird tendenziell die herkömmliche politische Diskussion über Verteilungsgerechtigkeit vernachlässigt.
Entscheidungsmacht wird von demokratisch gewählten politischen Institutionen in ausschließlich fachgebunden arbeitende Zirkel, sog. „Expertenkommissionen“ verlagert.
Im Vordergrund steht die rationale Planung und Durchführung von Vorhaben. Die Aufmerksamkeit wird auf Mittel und Wege konzentriert, nicht auf demokratische Entscheidung über die Ziele – Manager, Wissenschaftler, Ingenieure und andere qualifizierte Personen ersetzen gewählte Repräsentanten.
Argumentationsmuster verweisen auf alternativlose Sachzwänge zur Befriedigung der in Frage stehenden Bedürfnisse, die mit technisch-wissenschaftlichen Methoden gelöst werden sollen.2 / 2 / 13Technokratie (4)
Weiterlesen...Die von Thorstein Veblen, aber auch etwa von Walter Rautenstrauch (1880–1951) gegen Ende des Ersten Weltkriegs vertretene Vorstellung, Ingenieure würden das Gemeinwohl am besten verwalten, ist sowohl im Kontext einer fundamentalen Krise des Kapitalismus als auch der Russischen Revolution zu verstehen. Die Technokratie der Zwischenkriegszeit, die sich in den USA unter Howard Scott als „Technocracy Inc.“ zu einer politischen Partei verdichtete, verstand sich als Alternative sowohl zum Kapitalismus als auch zum Sozialismus. Und auch der US-amerikanische „New Deal“ unter Franklin D. Roosevelt kann als technokratisches Vorhaben interpretiert werden.
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Weiterlesen...Die technokratische Vorstellung, wirtschaftliche Entwicklung sei am erfolgreichsten durch mächtige Expertenstäbe zu realisieren, lag dem US-amerikanischen Wiederaufbauplan für Westeuropa nach 1945 zu Grunde (Marshall Plan). Technokratische Planung etablierte sich in der Folge unter dem Stichwort Planification insbesondere in Frankreich. Die französischen Planvorstellungen, die wesentlich von Jean Monnet konkretisiert wurden, bildeten ihrerseits ein wesentliches Grundelement für die Europäische Union. Technokratische Planung erhielt in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in allen westlichen Wohlfahrtsstaaten hohe Bedeutung. Sie wurde unter Wirtschaftsminister Karl Schiller selbst in der Bundesrepublik Deutschland wirksam, wo bisher der Ordoliberalismus prägend war.
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Weiterlesen...In Deutschland entwickelte sich Anfang der 1960er Jahre eine Technokratiedebatte, ausgehend von Helmut Schelskys Vortrag „Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation“. In diesem entwickelte er, anknüpfend an Arnold Gehlens Menschenbild, der den Menschen als Mangelwesen betrachtete, welcher diese Mängel mithilfe von Technik auszugleichen versuche, die Vorstellung eines „technischen Staates“. Der Mensch habe in der modernen technisierten Welt ein neues Verhältnis zur Welt und zu seinen Mitmenschen entwickelt.
In den 1960er Jahren haben sich, aufbauend auf der Kritik der instrumentellen Vernunft von Max Horkheimer, insbesondere Herbert Marcuse und Jürgen Habermas gegen die Anmaßung einer Technokratie gestellt. Wesentliche Beiträge zum Thema verfasste auch Hermann Lübbe. Spätestens Ende der 1980er Jahre kam die wissenschaftliche Technokratiedebatte in Deutschland jedoch zum Erliegen.5 / 5 / 13Technokratie (8)
Weiterlesen...Weitere Technokratie-kritische Stimmen
Neben Herbert Marcuse sind oder waren in Deutschland Martin Heidegger, Günther Anders, Gotthard Günther und Erich Fromm prominente Kritiker der Technokratie. International haben sich u. a. George Orwell (in seinen Essays über Faschismus: Technokratie sei Vorstufe des Faschismus), und aktuell Noam Chomsky in kritischer Weise über die Technokratie geäußert.
Götz Aly und Susanne Heim beschreiben das Dritte Reich und die damit verbundenen Herrschaftspläne für Osteuropa des Generalplan Ost sowie die Vernichtung der europäischen Juden als das Resultat einer Expertokratie. So sei „Auschwitz […] in hohem Maß die Folge einer gnadenlos instrumentalisierten Vernunft“ gewesen.6 / 6 / 13Expertokratie (1)
Weiterlesen...Expertokratie ist ein Kunstwort und bedeutet die Herrschaft oder Deutungshoheit von Experten oder Sachverständigen.
Begriff
Der Begriff wurde in den 1960er-Jahren geprägt und bezeichnet den zunehmenden Prozess das politische Entscheidungen an Behörden, Gremien und wissenschaftliche Experten delegiert werden und so aus dem politischen Raum genommen werden. Wolfgang Rieger warnte 1964 in einem Zeit-Essay, wenn Politiker und Wissenschaftler sich verbünden um zu wichtigen politischen Fragen nur noch eine mögliche Lösung anzubieten, dann werde „aus der Demokratie eine Expertokratie“.7 / 7 / 13Expertokratie (2)
Weiterlesen...Allgemein
In einer Expertokratie werden Experten mit der Aussicht auf Macht, Einfluss und lukrative Aufträge an die Politik gebunden. Sie befinden sich in einer prekären Situation. Sie üben Macht aus die sich aus ihrem Wissen gründet, diese Macht ist ihnen aber nur von der Politik verliehen und kann ihnen jederzeit entzogen werden. Sie müssen etwas zu sagen haben, um nicht das Interesse des Politikers zu verlieren, aber zugleich müssen sie dessen Erwartungen bedienen.8 / 8 / 13Expertokratie (3)
Weiterlesen...Experten widersprechen sich, Politiker können sich Experten auswählen, die ihrer Agenda entsprechen. Es gibt Kämpfe zwischen den Experten, bei denen sie sich versuchen gegenseitig zu diskreditieren. Große Experten nehmen oft eine Gatekeeper-Funktion wahr und wollen regulieren, welche Experten sich an der Debatte überhaupt beteiligen dürfen.
Experten irren sich, mitunter vertreten das genaue Gegenteil von dem was sie gestern noch vertreten haben, manchmal erweisen sie sich auch als Scharlatane.9 / 9 / 13
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