Herrschafts- und Regierungssysteme
Patriarchat, Matrirachat & Kyriarchat
Matriarchat (26)
Weiterlesen...Die Prähistorikerin Eva-Maria Mertens zeigte anhand der Bandkeramiker, dass diese Kultur keine friedliche im Sinne der Matriarchatsanhänger war. In ihrer Studie kommt sie zu dem Schluss: „Wenn die These der Matriarchatsforscherinnen stimmt, dass die Zeit des Neolithikums von Matriarchaten bestimmt war, dann war es trotz der Frauenherrschaft keine friedliche Zeit. Wenn aber die Kernprämisse für den Nachweis eines Matriarchats Gewaltlosigkeit beziehungsweise Friedlichkeit ist, dann ist am Ende der Bandkeramik nicht von einem Matriarchat zu sprechen.“ (ref“Eva-Maria Mertens 2003″>Eva-Maria Mertens: Der Mythos vom friedlichen Matriarchat. In: Antje Hilbig, Claudia Kajatin, Ingrid Miethe (Hrsg.): Frauen und Gewalt. Interdisziplinäre Untersuchungen zu geschlechtsgebundener Gewalt in Theorie und Praxis. Königshausen & Neumann, Würzburg 2003, S. 33–46 ()). Mertens betont, dass solche Hinweise auf Gewalt nicht nur Kennzeichen der ersten Ackerbauern in Mitteleuropa sind. Auch von den vorhergehenden Jägern und Sammlern in der Mittelsteinzeit (Spätmesolithikum) gebe es regelhaft Hinweise auf gewaltsam zu Tode gekommene Menschen.
50 / 50 / 57Matriarchat (27)
Weiterlesen...Mit dem Neolithikum ging als Folge der mit Ackerbau und Viehzucht verbundenen Sesshaftigkeit ein Anwachsen der Bevölkerung einher und die Herausbildung erster sozialer Unterschiede und Hierarchien. Anhand der Skelettfunde lässt sich eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nachweisen, wobei hauptsächlich die weiblichen Skelette Handarthrosen und andere Abnutzungserscheinungen aufweisen, die auf das Mahlen des Getreides in kniender Haltung hinweisen, außerdem „werden weibliche Skelette zusehends kleiner und zierlicher“. Verletzungen und Krankheiten, die sich am Skelett nachweisen lassen, nehmen drastisch zu (es gibt Hinweise auf ernährungsbedingte Krankheiten, beispielsweise nachgewiesen bei der Hälfte der Bewohner von Çatalhöyük); und nicht nur bei den Bandkeramikern finden sich Skelette – Frauen und Männer –, die auf einen gewaltsamen Tod schließen lassen. Ebenso ist die Vorstellung eines friedlichen Umgangs mit der Natur wahrscheinlich falsch, „die ersten Bauern wiesen vermutlich allen Ressourcen – Pflanzen, Tieren, Menschen – gegenüber eine ausbeuterische Haltung auf.“
51 / 51 / 57Matriarchat (28)
Weiterlesen...Auch weitere Annahmen, um die Idee eines neolithischen Matriarchats zu stützen, werden fachwissenschaftlich zurückgewiesen, sie gelten in der Archäologie als widerlegt und von der Methodik her als unwissenschaftlich. So beispielsweise die Behauptung von Matriarchatstheoretikern, es gäbe eine Bedeutungskontinuität über Jahrtausende hinweg von Symbolen, die als Sprache der Urzeit und vereinfacht als Symbole der Göttin zu verstehen seien. Ebenfalls zurückgewiesen werden pauschale Deutungen von weiblichen oder anthropomorphen Darstellungen als Göttinnen und als Ausdruck einer religiösen Kontinuität vom Paläolithikum bis zum Neolithikum (und darüber hinaus) – einem Zeitraum, der mehr als 20.000 Jahre umspannt und mit tiefgreifenden soziokulturellen Veränderungen verbunden war.
52 / 52 / 57Kyriarchat
Weiterlesen...Kyriarchat ist eine Wortschöpfung, geprägt von Elisabeth Schüssler Fiorenza, um miteinander verbundene, interagierende, multiplikative Systeme von Herrschaft und Unterwerfung zu beschreiben, in denen dieselbe Person in einem Kontext unterdrückt und in einem anderen Kontext privilegiert sein kann. Es ist eine intersektionale Festlegung des Begriffs des Patriarchats, es erweitert die Analyse der Unterdrückung jenseits geschlechtsspezifischer Diskriminierungen um die Dynamik des Rassismus, Heterosexismus, Klassismus, Ethnozentrismus, der Altersdiskriminierung und anderer Formen der internalisierten und institutionellen Diskriminierung.
53 / 53 / 57Kyriarchat (2)
Weiterlesen...Strukturelle Positionen
Schüssler Fiorenza (2009) beschreibt voneinander abhängige „Schichten von Geschlecht, Rasse, Klasse, Religion, Heterosexualität und Alter“ als strukturelle Positionen, die bei der Geburt zugewiesen werden. Sie meint, dass Menschen mehrere Positionen innehaben und dass die Positionen mit Privileg Knotenpunkte werden, durch die die anderen Positionen erlebt werden. Zum Beispiel, in einem Kontext, in dem das Geschlecht die primäre privilegierte Position ist (z. B. Patriarchat), wird das Geschlecht zum Knotenpunkt, durch den Sexualität, Rasse und Klasse erfahren werden.54 / 54 / 57Kyriarchat (3)
Weiterlesen...In einem Kontext, in dem die Klasse die primäre privilegierte Position bedeutet (Klassismus), werden Geschlecht und Race durch die Klassendynamik erlebt.
Schüssler Fiorenza schreibt über die Wechselwirkung zwischen Kyriarchat und Kritische Theorie als solche:
Tēraudkalns (2003) legt nahe, dass diese Strukturen der Unterdrückung selbsttragend sind durch verinnerlichte Unterdrückung; jene mit relativer Macht neigen dazu, an der Macht zu bleiben, während jene ohne Macht dazu tendieren, entrechtet zu bleiben.55 / 55 / 57Kyriarchat (4)
Weiterlesen...Etymologie
Der Begriff wurde von Elisabeth Schüssler Fiorenza als eine Erweiterung des Patriarchats geprägt, abgeleitet aus den griechischen Wörtern κύριος kyrios („Herr, Gebieter“) und ἄρχειν archein („der Erste sein, anführen“). Der Begriff wurde geprägt in: But She Said: Feminist Practices of Biblical Interpretation (deutsch: „Aber sie sagte: Feministische Praxis biblischer Interpretation“), 1992.56 / 56 / 57