Herrschafts- und Regierungssysteme
Patriarchat, Matrirachat & Kyriarchat
Patriarchat (11)
Weiterlesen...Die Überwindung des biblischen Patriarchatsbegriffes zeigt sich zum ersten Mal in der politischen Ideengeschichte als „Emanzipation der Söhne“ Ende des 17. Jahrhunderts bei John Locke, der väterliche Gewalt als Staatsbegründung ablehnte. Als Entgegnung auf Filmer argumentierte Locke, dass die Gewalt des Vaters über den Sohn als Gewalt der Eltern über die Kinder zu verstehen sei. In seiner Neubegründung politischer Gewalt nehmen die Brüder die politische Stellung des Vaters ein, wobei Locke die Emanzipation der Frau vom Mann jedoch ausschloss. Die Politikwissenschaftlerin Carole Pateman bezeichnet dies als „Geschlechtervertrag“ (sexual contract) zwischen Männern, der in dieser Form nicht nur ein vormodernes Phänomen sei, sondern das moderne „brüderliche“ Patriarchat begründe.
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Weiterlesen...Patriarchat als evolutionäre Entwicklungsstufe
Mit der Entwicklung der Anthropologie im 19. Jahrhundert und evolutionistischen Theorien, die alternative Erklärungsmuster zur biblischen Schöpfungsgeschichte und Chronologie anboten, kamen ab 1860 Vorstellungen einer unilinearen stufenweisen Entwicklung der Menschheit und ihrer sozialen Organisation auf, die sich schnell verbreiteten. Auf der Suche nach dem Ursprung der Zivilisation postulierten Johann Jakob Bachofen (Das Mutterrecht) und Henry Sumner Maine (Ancient Law) das Patriarchat als zivilisatorische Errungenschaft von Männern, dem nach Bachofen ein ursprüngliches Mutterrecht oder Matriarchat vorausgegangen war. Bachofen historisierte das Geschlechterverhältnis und stellte die Naturgegebenheit der patriarchalen Familienordnung und das Verhältnis der Geschlechter in Frage.11 / 11 / 57Patriarchat (13)
Weiterlesen...Er hatte dabei keine Kritik am patriarchalen Geschlechtermodell beabsichtigt, sondern vielmehr, dieses zu legitimieren (siehe auch: Geschichte der Matriarchatstheorien). Damit wurden mit dem Begriff Patriarchat erstmals die Beziehungen zwischen Frauen und Männern in den Blick genommen. Und je nachdem, wie man die vermutete evolutionäre Entwicklung als Ganzes und die zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnisse bewertete, wurde das Patriarchat oder das Matriarchat als jeweils höhere oder niedrigere Entwicklungsstufe menschlicher Gesellschaftsordnung beurteilt.
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Weiterlesen...Für Bachofen galt der angenommene Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht als Durchbruch des geistig-männlichen Prinzips, mit dem das höchste Ziel menschlicher Entwicklung erreicht sei. Wie Bachofen nahm auch Lewis Henry Morgan ein ursprüngliches Mutterrecht an. Er war überzeugt, dass diese Gesellschaftsform Vorteile für Frauen aufwies, während der Übergang zur Patrilinearität mit negativen Folgen für die soziale Stellung der Frau verbunden gewesen sei.
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Weiterlesen...Theoretiker des Sozialismus rezipierten Morgans und Bachofens Ideen vom Mutterrecht positiv. Im Gegensatz zu Bachofen beurteilte Friedrich Engels den fiktiven Umsturz des Mutterrechts als die „weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“. Die Frage, ob es sich beim Patriarchat um eine politische oder familiale Herrschaftsform handelt, entschieden sie zu Gunsten der familialen. In diesem Sinne ist Patriarchat als Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft seitdem ein fester Bestandteil im Kontext marxistischer Weltanschauung und Wissenschaft. Darauf basierend kritisieren die Vertreter des Freudomarxismus (bzw. der kritischen Theorie) Fromm (1932), Reich (1933) und Horkheimer (1936) die autoritäre
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Weiterlesen...Kindererziehung innerhalb der patriarchalen Familie zu einem gesellschaftlich autoritären Charakter als postulierte Grundbedingung zu faschistischen Systemen (siehe auch Studien über Autorität und Familie). Dieses Konzept der Reproduktion des autoritären Charakters aus der (patriarchalen) Familie als „Agentur der Gesellschaft“ wurde von der 1968er-Bewegung sowie in der modernen Kindheitssoziologie (siehe Konzept „Ordnungsfähigkeit“) aufgegriffen und werden darin als weiterhin gültig verstanden.
Marxistische Aktivistinnen der neuen (zweiten) Frauenbewegung beriefen sich insbesondere auf Friedrich Engels, der (frühe) akademische Feminismus übernahm Engels’ Thesen.15 / 15 / 57Patriarchat (17)
Weiterlesen...Patriarchatsbegriff bei Max Weber
Als Patriarchat wird in der Herrschaftstypologie Max Webers (1864–1920) eine persönliche, auf Gewalt und Gehorsam beruhende Form der traditionalen Herrschaft klassifiziert. Weber erklärte alle Herrschaftsbeziehungen durch Sozialisation und gesellschaftliche Verhältnisse mit Ausnahme der Beziehung zwischen Männern und Frauen, die er auf eine natürliche Geschlechterdifferenz zurückführte.16 / 16 / 57Patriarchat (18)
Weiterlesen...Feministischer Patriarchatsbegriff
In der feministischen Theoriebildung seit den 1960er Jahren ging es darum, die Naturwüchsigkeit der Beziehung zwischen Männern und Frauen, wie von Weber vorausgesetzt, und damit der Nachrangigkeit von Frauen in Frage zu stellen. Die zweite Frauenbewegung weitete den Patriarchatbegriff auf die Bedeutung allgemeiner, nahezu global verbreiteter Männerdominanz aus und erweiterte ihn zu einem Synonym für ‚männliche Herrschaft und Unterdrückung der Frauen‘. Patriarchat wurde zu einem Sammelbegriff für Strukturen und Formen von Nachrangigkeit, Ausbeutung und direkter sowie symbolischer Gewalt, die Frauen betreffen, und zur Grundlage feministischer Theorie und Praxis.17 / 17 / 57Patriarchat (19)
Weiterlesen...Patriarchat bezeichnet demnach zugleich ein analytisches Konzept und einen Zustand, den es zu bekämpfen und zu überwinden gilt. Als Schlüsselbegriff feministischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Forschung gewann das Konzept Patriarchat an Bedeutung, um „Ungleichheiten und Diskriminierungen, die Frauen in den unterschiedlichen Lebenssphären betreffen, als Teile eines übergreifenden Phänomens zu erfassen.“
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Weiterlesen...Forschungskontroversen
Kate Millett skizzierte in ihrem Werk Sexual Politics (1969; deutsch: Sexus und Herrschaft) Umrisse einer „Patriarchatstheorie“, in der sie postulierte, die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern als Herrschaftsverhältnis zu begreifen, da alle Macht von Geburt an in den Händen privilegierter Männer liege. Demgegenüber argumentierte die marxistische Soziologin Juliet Mitchell in ihrer Schrift The Woman’s Estate (1971), dass eine Theorie, die ein universales Patriarchat über alle Räume und Zeiten behauptet, für das Anliegen von Frauen, ihre politischen Rechte einzufordern, eher hinderlich sei. Eine feministische Geschichtsbetrachtung solle Frauen eine „eigene Geschichte“ zumessen, in der sie dem Patriarchat Widerstand geleistet hätten.19 / 19 / 57