Herrschafts- und Regierungssysteme
Patriarchat, Matrirachat & Kyriarchat
Patriarchat (1)
Weiterlesen...Patriarchat (wörtlich „Väterherrschaft“) beschreibt in der Soziologie, der Politikwissenschaft und verschiedenen Gesellschaftstheorien ein System von sozialen Beziehungen, maßgebenden Werten, Normen und Verhaltensmustern, das von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird. Von ähnlicher Bedeutung wie Patriarchat („Herrschaft der Väter“) ist die wenig gebräuchliche Neubildung Androkratie, wörtlich „Herrschaft des Mannes“.
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Weiterlesen...Wortherkunft
Der Ausdruck „Patriarchat“ ist das Abstraktum zu Patriarch, abgeleitet von altgriechisch patriarches „Erster unter den Vätern, Stammesführer, Führer des Vaterlandes“; gebildet aus patér „Vater“ und archēs „Oberhaupt“, zu archein „der erste sein, Führer sein, herrschen“. Das Adjektiv patriarchalisch hat seit dem 19. Jahrhundert auch die Bedeutung „vaterrechtlich“ (vergleiche patrilinear).1 / 1 / 57Patriarchat (3)
Weiterlesen...Wo
In der ältesten bekannten griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, der Septuaginta, wird patriarches in der Bedeutung „Erzväter“ verwendet. Dementsprechend wurde die Bezeichnung „Patriarch“ im Mittelalter und in der frühen Neuzeit als Synonym für die Stammväter der Israeliten vor der Sintflut und danach bis zum Auszug aus Ägypten verwendet. Daraus erklärt sich die Assoziation von „Patriarch“ mit einem alten Mann, denn von den Stammvätern der Israeliten wird in der Bibel berichtet, dass sie ein sehr hohes Alter erreichten. Die von den Römern anerkannte Institution des jüdischen Patriarchats unter Führung eines „Nasi“ (Patriarchen) bestand vom 2. bis Anfang des 5. Jahrhunderts in Palästina. In der christlichen Kirche wird die Bezeichnung „Patriarch“ ebenfalls seit der Spätantike als Titel für einen hohen Metropoliten (Oberbischof) verwendet. Entsprechend heißen die von einem Patriarchen regierten Teilkirchen oder Kirchenprovinzen „Patriarchate“.2 / 2 / 57Patriarchat (4)
Weiterlesen...Abgeleitet vom griechischen und römischen Recht wird als Patriarchat in der Familiensoziologie eine familiale Organisation verstanden, die dem männlichen Oberhaupt in Anlehnung an den pater familias als dem „Herrn des Hauses“ die rechtliche und ökonomische Macht und Verantwortung über die von ihm abhängigen Familienmitglieder zuschreibt.
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Weiterlesen...Geschichte
Der älteste griechische Text, der ein Patriarchat bezeugt, ist die Ilias von Homer. Laut Uwe Wesel war die griechische Demokratie „eine Männerdemokratie, die Unterdrückung der Frau ohne Beispiel in der damaligen Antike, besonders in Athen“. Plato schrieb, die Frauen seien „daran gewöhnt, verborgen und im Dunkel zu leben“. Das Theater durften sie nicht besuchen, und die Schauspieler waren immer Männer, mit Masken für die Frauenrollen. Die Männer waren also unter sich, wenn die Orestie des Aischylos aufgeführt wurde, die den Konflikt zwischen Mutterrecht und Vaterrecht behandelt. Angeklagt ist Orest, Agamemnons Sohn, der seine Mutter ermordet hat, um den Tod des Vaters zu rächen.4 / 4 / 57Patriarchat (6)
Weiterlesen...Am Ende erklärt die Göttin Athene: „Drum wiegt für mich der Mord an einer Frau doch leichter, die den Mann erschlug.“ Weil ihre Stimme den Ausschlag gibt, wird Orest freigesprochen. Es muss aber auch erwähnt werden, dass die Familienplanung nicht abgelehnt wurde. Aristoteles schrieb: „Die Zahl der zu erzeugenden Kinder ist ja bestimmt. Wenn aber Eheleute durch die Beiwohnung noch weiteren Nachwuchs über diese Grenze hinaus erzielen, so muss man diese Leibesfrüchte, bevor Gefühl und Leben in sie kommt, abtreiben“. Auch die römische Gesellschaft war patriarchal organisiert. Der römische Mann hatte das Recht, seine Ehefrau wegen Untreue zu töten.
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Weiterlesen...Die strikte Ablehnung der Empfängnisverhütung und der Abtreibung, die im 4. Jahrhundert zum Dogma wurde, war ein Rückschritt im Vergleich zur liberalen Haltung, die in der Antike herrschte. Das Gebären und Aufziehen von Kindern wurde zur wichtigsten Aufgabe der Frau (Pronatalismus). Die Reformation und der Humanismus änderten daran nichts, wie auch die folgenden Zitate zeigen. In Bezug auf den zu seiner Zeit noch häufigen Tod einer Mutter im Kindbett schrieb Martin Luther 1522: „Ob sie sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nicht. Lass (sie sich) nur tot tragen, sie sind darum da. Es ist besser kurz gesund denn lange ungesund leben“. Und der englische Humanist Thomas Morus ließ seinen Idealstaat Utopia fordern, dass die Frauen verheiratet werden, sobald sie körperlich ausgereift sind. Einer drohenden Übervölkerung sollte durch Auswanderung und Gründung von Kolonien begegnet werden.
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Weiterlesen...Im 20. Jahrhundert verlangten die Interessen vor allem der Konsumgüterindustrie in den kapitalistischen Ländern ein neues Frauenbild. Die Frau wurde nun als Käuferin von Konsumgütern und Haushaltsgeräten umworben, und dazu diente der von Betty Friedan beschriebene „Weiblichkeitswahn“. Mit ihm hat das Patriarchat sich an die veränderten Verhältnisse angepasst. Aber auch als Arbeitskräfte in traditionellen Männerberufen wurden Frauen verstärkt benötigt, vor allem in und nach den Kriegszeiten.
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Weiterlesen...Warum das Patriarchat die Jahrtausende überdauert hat, wurde erst spät untersucht. In Fortführung einer Theorie von Antonio Gramsci, wonach jede stabile Herrschaft auf die zumindest partielle Zustimmung und Mitarbeit der Beherrschten angewiesen ist, schrieb die marxistische Feministin Frigga Haug: „Die einzelnen Frauen finden selbstverständlich […] die gesellschaftlichen Verhältnisse […] zunächst fertig vor. Aber diese Strukturen existieren nur weiter, wenn sie von denen, die in ihnen leben, immer wieder hergestellt werden“.
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Weiterlesen...Patriarchat als politische Legitimationsform
Robert Filmer verwendet in seiner im 17. Jahrhundert abgefassten staatstheoretischen Abhandlung Patriarcha den Ausdruck „Patriarchat“ für eine gottgegebene Autorität, die von Vätern an den ältesten Sohn vererbt werden kann. Auf dieser Basis beruht nach Filmer die Legitimität aller politischen Herrschaft. Die Schrift ist als Rechtfertigung des Gottesgnadentums und des Absolutismus zu verstehen.9 / 9 / 57