Herrschafts- und Regierungssysteme
Diktatur
Diktatur (11)
Weiterlesen...Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges begann Neumann die Arbeit an einer eigenen Diktaturtheorie, die wegen seines Unfalltods 1954 fragmentarisch blieb. Diktatur definiert er darin als „Herrschaft einer Person oder einer Gruppe, die sich die Macht im Staat aneignet, sie monopolisiert und ohne Einschränkung ausübt“.Er unterschied drei Idealtypen: die „einfache Diktatur“, die lediglich die staatlichen Machtmittel wie Polizei und Militär unter ihr Kontrolle bringt, die „caesaristische“, die zusätzlich die Unterstützung der Öffentlichkeit anstrebt, und die „moderne totalitäre Diktatur“: Sie durchdringe die gesamte Gesellschaft und sei durch fünf Merkmale gekennzeichnet: die Ausbildung eines Polizeistaats, die Beseitigung der Gewaltenteilung und des Föderalismus, eine Staatspartei, die Verschmelzung von Staat und Gesellschaft und die Drohung terroristischer Gewalt gegen Oppositionelle.
10 / 10 / 24Diktatur (12)
Weiterlesen...Das Modell des Totalitarismus, das nicht nur die nationalsozialistische, sondern auch die stalinistische Diktatur begrifflich zu fassen suchte, war in den frühen Jahren des Kalten Krieges verbreitet. Die deutsch-amerikanische politische Theoretikerin Hannah Arendt (1906–1975) verzichtete in ihrem erstmals 1951 erschienenen Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft weitgehend auf den Begriff der Diktatur.1956 legten die amerikanischen Politikwissenschaftler Carl Joachim Friedrich (1901–1984) und Zbigniew Brzeziński (1928–2017) ihr Werk über die totalitäre Diktatur vor, die sie als Autokratie auf der Grundlage von moderner Technik und Massenzustimmung definierten.
11 / 11 / 24Diktatur (13)
Weiterlesen...Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Sigmund Neumann (1904–1962) entwickelte 1942 das Modell der „modernen Diktatur“. Auch er verwendete den Begriff Totalitarismus, stützte sich aber auf eine empirische Analyse der drei Fallbeispiele Sowjetunion, faschistisches Italien und nationalsozialistisches Deutschland. Dieser neue Typus von Diktaturen sei nach dem Ersten Weltkrieg entstanden: Als „Revolutionen in Permanenz“ seien sie auf Dauer angelegt. Neumann identifizierte fünf Strukturmerkmale moderner Diktaturen („patterns of dictatorship“): Diese Regime versprächen ihren Bürgern erstens Stabilität, hielten sie aber in scheinbarem Gegensatz dazu zweitens durch permanenten Aktionismus in Atem. In pseudo-demokratischer Weise stützten sie sich drittens auf eine staatlich gelenkte Massenbewegung – eine Instrumentalisierung der totalen Mobilmachung, wie sie zuerst am Ende des Ersten Weltkriegs praktiziert wurde –, im Zusammenhang damit auf eine Psychologie des Krieges und fünftens auf ein striktes Führerprinzip.
12 / 12 / 24Diktatur (14)
Weiterlesen...Der liberale Diktatur-Begriff der Gegenwart
Im liberalen Begriffsverständnis, das heute vorherrscht, ist Diktatur der Gegenbegriff zu Demokratie. Diktaturen sind stets gegen die liberale Staatsform gerichtet.Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper (1902–1994) unterschied in einem berühmt gewordenen Diktum lediglich zwei Staatsformen:
„Solche, in denen es möglich ist, die Regierung ohne Blutvergießen durch eine Abstimmung loszuwerden, und solche, in denen das nicht möglich ist. Darauf kommt es an, nicht aber darauf, wie man diese Staatsform benennt. Gewöhnlich nennt man die erste Form ‚Demokratie‘ und die zweite Form ‚Diktatur‘ oder ‚Tyrannei‘.“13 / 13 / 24Diktatur (15)
Weiterlesen...Ernst Fraenkel sah die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur in vier Aspekten: in der Legitimation der Herrschaftssysteme, in der Struktur der Gesellschaftssysteme, in der Organisation der Regierungssysteme und in der Geltung der Rechtssysteme. Sowohl Diktaturen als auch Demokratien legitimierten ihre Herrschaft durch eine Gemeinwohlorientierung, doch worin dieses Gemeinwohl bestehe, sei in der Diktatur vorgegeben, während es in der Demokratie dazu verschiedene Ansichten gebe. In Demokratien sei die Vielfalt und auch Gegensätzlichkeit der Auffassungen und Interessen willkommen, während Diktaturen eine gesellschaftliche Homogenität anstrebten. Dementsprechend sei das Regierungssystem in Demokratien pluralistisch, während es in Diktaturen monistisch sei. In Demokratien in ihrer Eigenschaft als Rechtsstaat seien die Regierungen an Grundrechte und Gerichtsentscheidungen gebunden, während sie sie in Diktaturen umgehen oder aufheben könnten.
14 / 14 / 24Diktatur (16)
Weiterlesen...Der Politikwissenschaftler Rainer-Olaf Schultze sieht Diktaturen durch drei Strukturmerkmale gekennzeichnet: a) die Monopolisierung der gesamten Staatsgewalt in den Händen einer Person oder Gruppe; b) das Fehlen einer legalen Opposition und die (völlige oder weitgehende) Aufhebung von Pluralismus und Pressefreiheit; c) die Ersetzung des Rechtsstaats durch einen Polizeistaat. Im Einzelnen bedeutet dies das Fehlen jeglicher Gewaltenteilung und föderativer Machtdiffusion. Der Grundrechteschutz des einzelnen Bürgers fehlt. Der Diktator kontrolliert neben der Gesetzgebung insbesondere auch die traditionellen staatlichen Zwangsmittel der Exekutive selbst: Militär, Justiz, Polizei und staatliche Behörden.
15 / 15 / 24Diktatur (17)
Weiterlesen...Besonders das Militär wird nicht vom Parlament kontrolliert, sondern vom Diktator, und kann nicht nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden, sondern auch im Inneren gegen die Opposition. Die Justiz kann nicht mehr unabhängig urteilen, sondern folgt diktatorischer Gesetzgebung oder direkten Weisungen. Diese Zwangsmittel reichen oft nicht zum Machterhalt aus, daher müssen weitere Bereiche der Gesellschaft kontrolliert werden. Die Diktatur unterwirft sich dann auch die wirtschaftlichen Einrichtungen, das Erziehungswesen, Presse und Medien sowie die Kommunikationsmittel wie Nachrichtenverkehr und Datenverkehr (zu Merkmalen, die in totalitären Diktaturen hinzukommen, siehe Abschnitt Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus).
16 / 16 / 24Diktatur (18)
Weiterlesen...Seit den 1990er Jahren wird für Diktaturen in der Demokratieforschung vermehrt das Wort „Autokratie“ verwandt. Als gemeinsames Merkmal aller Autokratien wird das Fehlen freier und fairer Wahlen genannt. Im Vergleich zu Demokratien entzieht sich die an der Spitze eines autokratischen Staates stehende kleine Gruppe von Personen damit dem politischen Wettbewerb, die Zahl der Forderungen und Anregungen des Volkes, die es zu berücksichtigen gilt, wird dadurch für sie reduziert. Ansonsten unterschieden sich Autokratien aber stark voneinander.
17 / 17 / 24Diktatur (19)
Weiterlesen...Auch der spanisch-amerikanische Politikwissenschaftler Juan Linz (1926–2013) unterscheidet, je nach Beherrschungsgrad, autoritäre und totalitäre Diktaturen. Für letztere sei ein Monismus typisch, das heißt, sie duldeten keinerlei abweichende Ideologien, sowie eine Massenmobilisierung. In autoritären Diktaturen dagegen, wie sie sich vor allem unter Entwicklungsländern finden, gebe es durchaus einen, wenngleich begrenzten, gesellschaftlichen Pluralismus, zudem fehle eine elaborierte leitende Ideologie, die Mobilisierung der Massen beschränke sich auf einige Momente, und die Macht werde von einem einzelnen oder einer kleinen Gruppe „innerhalb formal kaum definierter, aber tatsächlich recht vorhersagbarer Grenzen“ ausgeübt. Als Beispiel führt er hier das spanische Franco-Regime der 1930er bis 1970er Jahre an.Von der älteren Totalitarismusforschung unterscheidet sich Linz dadurch, dass er von (der real kaum zu findenden) Vorstellung eines monolithischen Staatsaufbaus abwich und dass er den Terror nicht mehr zum notwendigen Merkmal totalitärer Regime rechnete.
18 / 18 / 24Diktatur (20)
Weiterlesen...Der Historiker Ernst Nolte (1923–2016) schlägt eine Typologie der Diktatur-Begriffe vor, die sich seit den 1930er Jahren gegenüberstehen. Darin unterscheidet er einen liberalen, einen kommunistischen und einen faschistisch-nationalsozialistischen Diktatur-Begriff. Der liberale verstehe Diktatur stets negativ als antiparlamentarische und unbeschränkte Machtausübung eines einzelnen oder einer Gruppe. Der kommunistische betone die positive, demokratische Komponente der Diktatur des Proletariats. Der faschistisch-nationalsozialistische sei ebenfalls positiv und beschreibe die Herrschaft Benito Mussolinis bzw. Hitlers der „Führerdemokratie“.
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