Herrschafts- und Regierungssysteme
Demarchie
Demarchie (21)
Weiterlesen...Das Los schafft gesellschaftliche Stabilität. Schon Aristoteles empfahl für eskalierende Konkurrenz um Wahlämter das Losverfahren, aus demselben Grund wurde es in den italienischen Städterepubliken eingesetzt. Neid, Missgunst, Flügelkämpfe, Bestechungen, geheime Anfeindung wie öffentliche Empörung (Moser 1774) wird vermieden, keiner verliert sein Gesicht. Somit gibt es kaum negative Gefühle, die in Gegnerschaften umschlagen können. Da die ausgelosten Entscheider statistisch-repräsentativ für die gesamte Gesellschaft stehen, werden sie nicht als „abgehobenes Eliten-Projekt“ wahrgenommen, die Akzeptanz wird breiter.
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Weiterlesen...Das Losverfahren beinhaltet eine „Rationalität zweiter Ordnung“, die teils Entscheidungen erst ermöglicht (Engelstad/Elster, 1980er), wo die Rationalität an ihre Grenzen stößt. Mit den Details steigt der Aufwand, bewusst eine Auswahl zu treffen; ab einem gewissen Punkt sind die Kosten des Losens niedriger als der Aufwand einer bewussten Wahl. Auch in Situationen, in denen aufgrund von Unsicherheiten nicht klar ist, welche Option die richtige ist, oder die Optionen recht ähnlich sind, macht der Losentscheid Sinn. Schließlich löst das Los Entscheidungssituationen auf, bei denen Vergleiche zwischen Menschen unpassend wären.
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Weiterlesen...Die Entscheider stehen statistisch-repräsentativ für die gesamte Gesellschaft. Wenn sie die besten Entscheidungen für sich treffen, sind dies auch die besten Entscheidungen für die Gesamtgesellschaft.
Mittels Los und Rotationsverfahren löst sich die Grundlage für charismatische Autoritäten auf, ein „Führer“ hat keine Chance mehr.22 / 22 / 35Demarchie (24)
Weiterlesen...Argumente dagegen
Das Losverfahren kann manipuliert werden, wird nicht akzeptiert, hat hohe Folgekosten für inkompetente Entscheider, reduziert Leistungs- und Wettbewerbsprinzip, reduziert die Übernahme von Verantwortung und macht längerfristige Planung unmöglich:23 / 23 / 35Demarchie (25)
Weiterlesen...Damit ein Losverfahren fair ist, muss es allen gleiche Chancen geben, manipulationssicher und transparent sein. Es muss eine geeignete künstliche Lostechnik entwickelt werden, die diesen Kriterien entspricht. In Athen wurde das Kleroterion verwendet. Teils steht der Glaube an bestimmte zu bevorzugende oder zu vermeidende Zahlen oder ein Erkennen von vermeintlichen Mustern in zufälligen Ergebnissen dem Vertrauen in ein Lossystem im Wege.
Die Macht der Bürokraten würde durch fehlende Kontinuität im Parlament und dadurch verursachte Informationsasymmetrie zugunsten der Staatsbeamten wachsen.
Die ausgelosten sachunkundigen Entscheider verbindet untereinander nichts, sie übernehmen keine Erfahrungen von ihren Vorgängern.
Das Los ist nur Flucht vor Verantwortung.24 / 24 / 35Demarchie (26)
Weiterlesen...Ohne Anreiz einer möglichen Wiederwahl übernehmen ausgeloste Entscheider keine Verantwortung, lassen sich ohne Gegenleistung bezahlen und kassieren in ihrer Amtszeit so viele Bestechungsgelder wie möglich, wenn keine ausreichenden Rechenschaftspflichten und Kontrollmechanismen existieren,
Das Losverfahren macht verbindliche Planungen schwierig und die längerfristige Verfolgung von Plänen bei Rotationsverfahren unmöglich. Dies widerspricht der Selbstbestimmung.
Das Losverfahren sei in modernen Gesellschaften nicht wirklich repräsentativ, in jeder ausgelosten Gruppe würden wichtige Minderheiten und Sichtweisen fehlen.25 / 25 / 35Demarchie (27)
Weiterlesen...Abgrenzungen
Losverfahren oder Bürgerbeteiligung allein macht noch keine Demarchie aus. Nach Burnheim, der den Begriff prägte, müssen in einer Demarchie „die Entscheidungsträger eine repräsentative Auswahl der von den Entscheidungen betroffenen Leute“ sein. Nachfolgende Beispiele sind daher keine Demarchien.26 / 26 / 35Demarchie (28)
Weiterlesen...Abgrenzung Teil-Modelle
Gewaltenteilung der Staatsgewalt auf getrennte Hoheitsbereiche.
Folgende Modelle behandeln keine Demarchie, sondern einzelne Bestandteile, meist nur für einen der drei Hoheitsbereiche der Staatsgewalt, der Legislative – teils in der Absicht, mit Zwischenschritten stufenweise einen Übergang zu einer Demarchie zu erreichen,27 / 27 / 35Demarchie (29)
Weiterlesen...Birepräsentative Modelle
1985 – In ihrem Buch A Citizen Legislature beschreiben Ernest Callenbach und Michael Phillips, welche Vorteile es hätte, das US-Repräsentantenhaus per Zufallsauswahl zu bilden. Sie schlagen vor, dass diese Abgeordneten in überlappenden Zeiträumen für jeweils drei Jahre aus vorhandenen Geschworenenlisten ausgelost werden. Dabei würde das Repräsentantenhaus weiterhin dem Senat Gesetze vorschlagen und Gesetzesvorschläge des Senats prüfen, dieser würde als gewähltes Gremium bestehen bleiben.28 / 28 / 35Demarchie (30)
Weiterlesen...2009 – Der Greifswalder Politikprofessor Hubertus Buchstein schlägt in seinem Buch Demokratie und Lotterie
2013/16 – Der Autor und Historiker David Van Reybrouck plädiert in einer Übergangsphase zunächst für ein „birepräsentatives Modell“, eine Volksvertretung, die sowohl durch Abstimmung als auch durch Auslosung zustande kommt. Für dieses Modell sieht er insbesondere sein Heimatland Belgien als geeignet an. In einem schrittweisen Prozess, wie ihn Bouricius (2013) beschreibt, könne der belgische Senat in ein legislatives Organ transformiert werden, das ausschließlich aus ausgelosten Bürgern besteht.29 / 29 / 35