Herrschafts- und Regierungssysteme
Bürokratie
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Bürokratie (11)
Weiterlesen...Niklas Luhmann kritisierte das Weber’sche Bürokratiekonzept: Die bürokratische Rationalität sei kein Resultat des zweckrationalen Handelns von Einzelnen, insbesondere kein Instrument der „Organisationsherren“, und auch nicht Ausdruck eines allgemeinen „Rationalismus der Weltbeherrschung“, sondern ein von der Komplexität des Gesellschaftssystems geforderter Mechanismus der Trennung sozialer und personaler Systeme mit dem Ziel der Unsicherheitsabsorption und Kontingenzbewältigung.
Günther Ortmann u. a. weisen auf die Machtblindheit der Modelle bürokratisch-rationaler Organisation hin und betonen die stets vorhandenen mikropolitischen Handlungsspielräume.10 / 10 / 18Bürokratie (12)
Weiterlesen...Auch Vladimir Shlapentokh und Joshua Woods kritisieren das Bürokratiemodell als zu rationalistisch; es könne die Ursachen von innerorganisatorischen Konflikten nur unzureichend erklären. Sie vergleichen Organisationen mit feudalen Strukturen, in denen es der Zentralgewalt nie gelingt, ihre Regeln in den Substrukturen vollständig durchzusetzen und ihre Einhaltung zu kontrollieren. Die lokalen Substrukturen brechen die Regeln häufig, was zu Rivalitäten, Opportunismus, Misstrauen und Korruption führen kann, aber nicht immer dysfunktional für die Organisation insgesamt sein muss. Die Dezentralisierung der Organisationen und die zunehmend „lose Kopplung“ (Karl Weick) ihrer Substrukturen seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts leiste den Autoren zufolge solchen Feudalisierungstendenzen Vorschub.
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Weiterlesen...Geschichte
Anfänge des bürokratisch organisierten Verwaltungswesens lassen sich am ehesten in der Epoche des Absolutismus feststellen, als Frankreich zum straff zentralisierten Nationalstaat umgebaut wurde. Im Mittelpunkt stand dabei klar die Verwaltung und Mehrung des Vermögens des Königshauses (= Staates). Auch innerhalb der deutschen Territorialstaaten der absolutistischen Epoche lassen sich ähnliche Entwicklungen konstatieren, wobei sich hier bei der fürstlichen Vermögensverwaltung die kameralistische Buchhaltung herausbildete. Parallel dazu entstand die Rechtsdisziplin des Verwaltungsrechtes. Einen anderen Verlauf nahm die Verwaltungsgeschichte in England, wo sich die innere Verwaltungstätigkeit vor und auch relativ lange nach der Industrialisierung auf wenige Funktionen des Nachtwächterstaates beschränkte; nur der Schutz des Verkehrs nach außen bedurfte hier einiger bürokratischer Einrichtungen.12 / 12 / 18Bürokratie (14)
Weiterlesen...Eine Reform des bürokratischen Systems – damals noch nicht bürokratisch genannt – fand Anfang des 19. Jahrhunderts in Preußen unter Stein und Hardenberg statt. Die verbesserte Effizienz der daraus hervorgehenden Verwaltung führte zu einer breiten Übernahme in vielen Staaten.
Grundlegende Änderungen in der Verwaltungsführung waren erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts zu beobachten. Auf Basis immer neuer staatlicher Aufgaben im Zuge des Aufbaus einer von der Sozialforschung unterstützten Leistungsverwaltung glaubte man, durch Prognosen staatliches Handeln planen und das Verhalten der Bürger rational lenken zu können. Daraus entwickelte sich in den 1960er- und 1970er-Jahren die so genannte „Planungseuphorie“. Sie führte zu einem starken Anschwellen der Verwaltung und der Vorschriften. Erst in den 1980er-Jahren begann man gegenzusteuern; weitreichende Reformen wurden allerdings in Deutschland nicht durchgesetzt.13 / 13 / 18Bürokratie (15)
Weiterlesen...In England und den USA begann sich hingegen gegen Ende der 1970er-Jahre eine Reformbewegung zu entwickeln, die auch als Neoliberalismus bekannt ist. Unter Margaret Thatcher und Ronald Reagan wurde das Konzept des schlanken Staates zum Teil umgesetzt. Der Staat wird hierbei in seinen Aufgaben beschränkt und früher staatlich erbrachte Leistungen werden privatisiert mit der Absicht, dass anstelle des Staates der Markt die Regulierung der Gesellschaft übernimmt.
In Deutschland haben neuere Reformbewegungen in den 1990ern begonnen. Neben einer Vielzahl von Privatisierungen – meist durch die Europäische Union initiiert – entwickelte sich auf Grundlage des New Public Management das Neue Steuerungsmodell. Hierin vereinen sich eine Vielzahl von Reformideen wie die der Verwaltung als Dienstleister und das Konzept der bürokratischen Verfahren als Leistungsprozess mit neuen Buchführungsmethoden und der Privatisierung von Leistungen, die verstärkt von privater Hand erbracht werden sollen.14 / 14 / 18Bürokratie (16)
Weiterlesen...Seit dem Ende der 1990er-Jahre wird zudem das E-Government immer stärker diskutiert. Mit Hilfe des Internets und elektronischer Datenverarbeitung soll vor allem der Aufwand durch bürokratische Regulierung für Unternehmen und Bürger reduziert werden. Parallel dazu nimmt auch E-Demokratie eine immer stärkere Rolle ein, um Bürger stärker an Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Hier soll ein grundlegendes Problem der Gesetzgebung und damit der Bürokratie an sich gelöst werden. Durch Lobbyarbeit konnten bisher einzelne Interessengruppen Vorschriften und Gesetze durchsetzen, die für eine Mehrheit der Betroffenen nachteilig, für die kleine Gruppe der Lobbyarbeiter (z. B. die Wirtschaft, aber auch einzelne Teile der Verwaltung selber) jedoch positive Auswirkungen hatte. Die Vielzahl unnötiger Regelungen wird häufig hierauf zurückgeführt. Durch eine breitere Einbindung der Betroffenen erhofft man sich hier sinnvollere Regelungen.
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Weiterlesen...Das Vertrauen in die Bürokratie der öffentlichen Verwaltung ist in Europa sehr unterschiedlich ausgeprägt. Der Habsburger Effekt bezeichnet jüngst wissenschaftlich – statistisch belastbar – nachgewiesene Zusammenhänge zu Osteuropa zwischen ehemaligem habsburgischem Gebiet und heute dort lebenden Menschen und deren geringerer Neigung zu Bestechung bzw. höherem Vertrauen in lokale Verwaltung, Polizei und Gerichtsbarkeit im Vergleich zu Menschen auf der anderen Seite der ehemaligen Grenze.
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Weiterlesen...Vor- und Nachteile
Während bis in die 1960er Jahre das Bürokratiemodell als Errungenschaft einer an Leistung und Effizienz orientierten Gesellschaft galt, durch welches Neutralität hergestellt und Korruption und Nepotismus ausgeschaltet werden, hat sich die Bewertung in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Überwiegend werden heute die negativen Folgen für die Gesellschaft hervorgehoben, die sich z. B. aus erschwerten oder ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu bürokratischen Systemen und ihrer vergleichsweise geringen Effizienz ergeben.17 / 17 / 18
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